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Einsamkeit ist die Epidemie des 21. Jahrhunderts


Einsamkeit ist ein wichtiger Auslöser für Depressionen im Alter. Der Leiter der Abteilung für Alterspsychiatrie und Alterspsychotherapie am LKH Graz II, Primarius Christian Jagsch, nennt sie „die Epidemie des 21. Jahrhunderts“. Depressionen sind gemeinsam mit Demenz der Schwerpunkt seiner Arbeit.

Psychische Erkrankungen sind in Österreich immer noch mit einem Stigma behaftet, bedauert der Psychiater. „Viele wollten früher nicht in die Psychiatrie, aus Angst vor dem, was geredet wird, oder der Sorge, nicht mehr nach Hause zu dürfen. Viele Patienten wollen immer noch, dass niemand erfährt, dass sie in der Psychiatrie waren. Dabei hat das nichts mit Dummheit zu tun – jeder kann in die Situation kommen, psychiatrische Hilfe zu brauchen.“

Ein ganz eigenes Kapitel sind psychische Störungen im Alter. Ab 70 Jahren ist die Alterspsychiatrie die Anlaufstelle. „Mit zunehmendem Alter nimmt die Gefahr von Depressionen zu. Hauptthemen sind die Einsamkeit, körperliche Erkrankungen und die Endlichkeit, also die Angst vor dem Tod. Der Therapieansatz ist es, gemeinsam mit unseren Patienten die einzelnen Lebensabschnitte anzuschauen und zu bearbeiten. Trauer ist dabei ein wichtiger Punkt. Menschen neigen dazu, zu verdrängen und zu verleugnen und viel zu schlucken. Aber irgendwann bricht es aus ihnen heraus oder die Menschen erstarren. Wir versuchen in diesen Fällen, sie emotional zu erreichen und das Vergangene aufzuarbeiten.“

Die Einsamkeit als Auslöser treffe besonders stark alte Menschen, weiß Dr. Jagsch. Verschärft werde die Situation dadurch, dass es immer mehr Single-Haushalte gibt. Derzeit treffe dies schon auf 1,6 Millionen von insgesamt 4,1 Millionen Haushalten zu, also fast die Hälfte – Tendenz steigend.

Als Prävention gegen altersbedingte Depressionen empfiehlt der Primar die „Fünf L“: „Leben, Lachen, Lieben, Lernen, Laufen. Sport hilft dabei, auch psychisch gesund zu bleiben. Wer aktiv ist, holt sich auch rascher Hilfe.“ Das treffe generell auch auf Frauen zu. „Sie reden offener über ihre Gefühle und lassen sich früher unterstützen. Darum sind drei Mal so viele Frauen in Behandlung wie Männer. Diese versuchen oft, sich selbst zu heilen und greifen dann zum Alkohol. Sie begehen auch häufiger Suizid. Es gibt zwei Lebensphasen, in denen Männer, stärker suizidgefährdet sind: Einmal zwischen 16 und 25 Jahren und dann ab 70.“

Die Generation, die heute über 70 ist, sucht von selbst nicht gern um Hilfe an. „Sie sind es einfach nicht gewohnt, weil sie oft hart erzogen wurden, vor allem Männer.“ Das Verhalten werde sich aber sukzessive ändern, ist der Psychiater überzeugt. „Die jüngeren Generationen sind schon eher an Psychotherapie gewöhnt, weil sie zum Teil mit dieser Hilfestellung aufgewachsen sind,  und werden diese auch im Alter eher weiter in Anspruch nehmen.“

Auf jeden Fall werde es in der Alterspsychiatrie zu Veränderungen kommen, weil die Generation der Baby-Boomer – geboren zwischen 1955 und 1969 – nun alt geworden ist. „Sie werden ihre Suchterkrankungen ins Alter mitnehmen, vor allem, was den Alkohol angeht. Der gilt bei uns in der Steiermark ja als Kulturgut. Bei den Alt-68ern wiederum betrifft es Cannabis. Vielleicht auch ein zusätzlicher Aspekt, warum Cannabis in Deutschland jetzt legalisiert wurde. Die 68er- Generation sitzt jetzt in den Entscheidungsgremien.“

Für medizinische Zwecke wäre Christian Jagsch ohnehin für eine Freigabe von Cannabis.  „Es ist schmerzlindernd, wirkt appetitsteigernd und antidepressiv. Der medizinische Einsatz würde durchaus Sinn machen.“ Etwas anders gelagert sei eine völlige Freigabe. „Bei Jugendlichen muss man da sehr aufpassen. Sie können hängenbleiben oder es als Einstiegsdroge benutzen und dann auf härtere Sachen umsteigen.“ Zudem sei das Cannabis von heute nicht mehr mit dem vor 30 Jahren vergleichbar. „Die Pflanzen wurden hochgezüchtet und haben einen massiv höheren Wirkstoffgehalt im Vergleich zu früher.

Ein Schwerpunkt der Arbeit ist die Therapie von Demenzkranken. Jagsch: „Es gibt viele Arten der Demenz. Alzheimererkrankungen zum Beispiel beginnen schon mit 50, brechen aber erst mit 70 voll aus. 30 Prozent der 90-Jährigen leiden unter der einen oder anderen Form von Demenz. Das klingt viel, aber man muss sehen, dass im Umkehrschluss mehr als zwei Drittel der Hochbetagten nicht dement sind. Altersdemenz können wir leider nicht heilen, nur den Krankheitsprozess verlangsamen.“

Gerade bei der Demenz ist es für Primar Jagsch wichtig, auch die Angehörigen mit einzubeziehen. „Da lebt der Partner plötzlich mit jemanden zusammen, der sich vollkommen in seiner Persönlichkeit verändert, weil bestimmte Kontrollmechanismen im Gehirn nicht mehr funktionieren. Das ist natürlich eine große Belastung.“ Es sei essenziell für die Angehörigen, selbst gesund zu bleiben. „Sie haben ein hohes Risiko, depressiv zu werden. Durch die zeitintensive Betreuung des Erkrankten verlieren sie selbst oft Freunde.“ Die Folge seien Depressionen oder Suchterkrankungen in Form von Alkohol oder Tabletten.

„Wir sagen immer, dass Angehörige sich Hilfe holen sollen, indem sie zum Arzt gehen oder zumindest mit Freunden reden.“ Es gebe auch Selbsthilfegruppen, in denen sich die Mitglieder gegenseitig unterstützen. Entscheidend sei es auch, dass pflegende Angehörige nicht ihr gesamtes Leben auf den Kranken ausrichten. Da könne schon ein freier Tag pro Woche Wunder wirken. „Für diese Zeit muss man eben einen Ersatz suchen – egal, ob das ein anderer Angehöriger oder ein professioneller Helfer ist. Eine Möglichkeit sind auch Tageszentren, die sich kurzzeitig um den Kranken kümmern.“

Eine grundlegende Veränderung der Persönlichkeit tritt bei Demenz laut leitenden Psychiater Jagsch meist nicht auf. „Man kann sagen, dass nette Menschen auch mit Demenz nett bleiben. Menschen, die plötzlich sexistische Dinge von sich geben, haben das möglicherweise schon immer gedacht, aber nie öffentlich sagen dürfen.“ 

Auch alte Gewohnheiten bleiben bei Demenzkranken. „Ein Beispiel: Da war eine Frau ein Leben lang Wirtin und hat alles selbst bestimmt und gemacht, die ging dann im Altersheim auch in die Küche und wollte dort die Chefrolle übernehmen. Das bekommt man aus den Menschen nicht heraus.“

Zu den psychischen Erkrankungen im Alter, so der Psychiater, gehören oft auch wahnhafte Störungen. „Da bildet sich dann die Ehefrau eines bettlägerigen Gatten ein, dass der ein Verhältnis mit der Pflegerin hat. Oder der Bauer, der fest überzeugt ist, dass der Nachbar heimlich den Grenzstein versetzt hat. Solche Sachen kommen immer wieder vor.“ Derartige Psychosen seien eine besondere Form. „Sie sind ein Leben lang nicht da und treten im Alter plötzlich auf. Es muss dafür einen konkreten Auslöser geben.“ Eine Behandlung sei mit Medikamenten möglich, aber sehr schwierig.

Insgesamt hat sich die Palette der Psychotherapien für alte Menschen erweitert. „Die Grundannahmen der Psychotherapien der verschiedenen Schulen bleiben für alte Menschen gleich.“ So setze man in seiner Abteilung zusätzlich auch Lichttherapie, Physiotherapie, Ergotherapie und Sporttherapien ein, dazu komme eine passende Ernährung. „Es gibt immer psychische und körperliche Komponenten und man muss versuchen, das Ganze zu sehen.“ Manchmal helfen aber nur noch Medikamente. „Medikamentöse Therapien braucht man bei starken Beschwerden. Meine Abteilung hat eine eigene Pharmazeutin, das ist außergewöhnlich. Die schaut genau darauf, welche Medikamente passen und wie sich mehrere Medikamente miteinander vertragen. Bei älteren Menschen wird meistens eine geringere Dosis gegeben, diese ist aber sehr wichtig. Oft nehmen Senioren gar nicht alles, was ihnen verordnet wurde, sondern behaupten es nur.“

Der 61 Jahre alte Christian Jagsch wurde in Wien geboren, studierte in Wien und absolvierte seine Ausbildung zum Arzt für Allgemeinmedizin und zum Facharzt für Psychiatrie und psychotherapeutischer Medizin in Oberösterreich.

Seit 15 Jahren lebt und arbeitet er in der Steiermark. „Ich fühle mich hier sehr wohl“, erklärt der Primar. Der Psychiater ist verheiratet und hat zwei erwachsene Kinder. In seiner Freizeit spielt er gerne Golf, unternimmt Reisen und liest viel. „Wenn Zeit dafür bleibt“, schränkt Jagsch ein. „Ich halte selbst viele Vorträge und Seminare“. Außerdem bildet er im Rahmen seiner Tätigkeit auch junge Psychoanalytiker aus. Dr. Christian Jagsch ist auch für die Ärztekammer bei der Ausbildung für das Diplom Psychotherapeutische Medizin aktiv, das alle Ärzte erwerben können.

Primar Dr. Christian Jagsch

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