3.000 Leichen in 35 Berufsjahren


Gerichtsmedizin ist mehr als das Obduzieren von Leichen, auch wenn die Klärung der Todesursache die Hauptaufgabe der forensischen Mediziner ist. Prof. Dr. Peter Grabuschnigg, der das Diagnostik- und Forschungsinstitut für Gerichtliche Medizin an der Med Uni Graz einige Jahre lang interimistisch geleitet hat, erzählt aus dem Alltag.

Ursprünglich wollte Peter Grabuschnigg Allgemeinmediziner werden. Nach der Lektüre eines Buches des in Fachkreisen berühmten Chefs des Gerichtlich-Medizinischen Institutes an der Universität Graz, Wolfgang Maresch, versuchte er sein Glück auf der Gerichtsmedizin. „Dort bin ich dann in meinen Beruf hineingewachsen, und es hat mich so gepackt, dass ich dabei geblieben bin“, erinnert sich der 64-Jährige.

An die 3.000 Leichen hat Grabuschnigg in seinen 35 Berufsjahren begutachtet und untersucht. Obduziert wird, wenn die Todesursache nicht eindeutig feststeht oder es sich um einen Verdachtsfall durch Fremdeinwirkung handelt, und eine Staatsanwaltschaft eine genaue Untersuchung anordnet.

Je länger der Tod zurückliegt, so der Gerichtsmediziner, desto schwerer sei es, die Todesursache festzustellen. „Besonders schwierig kann es bei einer Exhumierung sein, wo der Tod schon längere Zeit zurückliegt. Dann hängen die Ergebnisse stark von den Umständen der Grabstätte ab. Manche exhumierten Toten sind sehr gut erhalten, andere wieder haben begonnen sich aufzulösen. Dann wird es schwierig, sobald die Weichteile ihre Struktur verloren haben“ erklärt uns Peter Grabuschnigg.

Der Todesfall einer toten Frau, die über ein Jahr lang in einer Jauchengrube lag, war besonders aufwendig, da sich der Leichnam bereits weitgehend zersetzt hatte und der Geruch nur für „bereits daran Gewöhnte“ erträglich war. Der ursprüngliche Verdacht, dass die Frau erschlagen worden sein könnte, konnte jedoch ausgeräumt werden, da die Kopfschwarte keinerlei Rissquetschwunden aufwies und der knöcherne Schädel intakt war.

Eine wichtige Aufgabe sei es auch, die Identität von Toten festzustellen. Bei Bauarbeiten würden des Öfteren Skelette oder einzelne Knochen gefunden. „Dies ist meistens ein archäologisches und kein kriminalistisches Problem“, weiß der Mediziner. „Oft handelt es sich um einen alten Pestfriedhof oder die Reste einer anderen Begräbnisstätte.“

Eine besondere Häufung von Tötungsdelikten in den vergangenen Jahren kann Grabuschnigg nicht bestätigen. „Was wir feststellen, ist eine Zunahme von Messerstechereien. Das hängt wohl auch mit verschiedenen Ethnien zusammen, in denen der Einsatz von Messern bei Auseinandersetzungen üblicher ist als in Österreich.“

Leichenöffnungen können hierzulande auch aus religiösen Gründen nicht verhindert werden, weiß der Gerichtsmediziner. „Im muslimischen Glauben müssen Tote beispielsweise eigentlich 24 Stunden nach dem Ableben begraben werden. Das geht sich mit einer Obduktion nicht immer aus.“

Abgebrüht werde man als Gerichtsmediziner in gewisser Hinsicht schon, räumt Grabuschnigg ein. „Gerüche oder verschiedene Stadien der Verwesung machen einem mit der Zeit nichts mehr aus. Es geht darum, Ergebnisse zu bekommen, da treten unangenehme Begleiterscheinungen in den Hinter- grund.“

Eine ganz andere Sache sei es, wenn man Kinder oder junge Frauen obduzieren müsse. „Das berührt mich natürlich, auch wenn ich bei der Arbeit selbst viel aushalte.“ Mittlerweile nehme er seine Fälle gedanklich nicht mehr mit nach Hause. „Manchmal bringen einen bestimmte Dinge zum Nachdenken, ja, aber meiner Frau erzähle ich schon lange nicht mehr, was ich tagsüber so gemacht habe.“ Es stelle sich eben eine gewisse Routine im Umgang mit Leichen ein.

„Als Gerichtsmediziner muss man eine gewisse medizinische Detektivarbeit leisten, aber das ist auch das Interessante an meiner Arbeit.“ Voreingenommen dürfe er nicht sein, im Gegenteil: „Wir müssen völlig wertneutral an jeden einzelnen Fall herangehen.“ Die endgültige Entscheidung treffe ohnehin ein Gericht. „Ich bin vor Gericht als Gutachter immer darum bemüht, den Sachverhalt so darzustellen, dass er auch von medizinischen Laien verstanden werden kann. Wir sind Vermittler zwischen Recht und Medizin.“ Staatsanwalt und Verteidiger würden naturgemäß verschiedene Ziele haben und deshalb den Gerichtsmediziner unterschiedlich befragen. „Das kann sehr herausfordernd sein, da heißt es, sachliche Ruhe zu bewahren.“

Im Fall eines Gewaltverbrechens kann die Gerichtsmedizin ganz wesentlich dazu beitragen, den zeitlichen Ablauf einer Tathandlung zu rekonstruieren. „Nehmen wir an, jemand wird erstochen, erzählt Grabuschnigg, da ist das Stichmuster ein gänzlich anderes als bei einem Suizid, während bei einem Angriff die Verteilung der Stiche unregelmäßig ist und meist auch Abwehrverletzungen an den Händen und Unterarmen der Opfer zu beobachten sind, werden die Stiche in selbstmörderischer Absicht meist an Körperregionen gesetzt, wo mit einem primären Ableben zu rechnen ist.

Entgegen der landläufigen Meinung gebe es aber auch bei Selbstmördern oft mehrere Stiche. „Es werden so genannte Probierstiche gesetzt, bevor die finalen Stiche stattfinden.“ Nach selbst zugefügten Stichverletzungen, die schließlich zum Tode führen, könnten Menschen jedenfalls oft noch erstaunliche Handlungen ausführen, weiß der Gerichtsmediziner.

Untersucht werden an der Gerichtsmedizin auch lebende Personen. „Wir geben da zum Beispiel im Rahmen von Gerichtsverfahren unsere Expertise zur Schwere der Verletzungen ab und wie sie entstanden sind. Auch die Folgen bis hin zur Berufsunfähigkeit schätzen wir ab.“

Die Meduni leistet hier Pionierarbeit: So gibt es mit der klinisch-forensischen Untersuchungsstelle einen Anlaufpunkt, wo sich die Opfer körperlicher oder sexueller Gewalt selbst wenden können, ohne vorher Polizei oder Staatsanwaltschaft einzuschalten. „Menschen, die selbst kommen, tun das entweder von sich aus oder werden von einer Hilfsorganisation unterstützt. Wir bieten niederschwellige Untersuchungen an, die Ergebnisse sind mit- unter zu Beweiszwecken maßgebend, sollte der Fall später weiterverfolgt werden.“ „Dann wird auf Art und Ursache der Verletzungen im Rahmen eines Verfahrens gutachterlich eingegangen“ schildert Prof. Dr. Peter Grabuschnigg.

Prof. Dr. Peter Grabuschnigg

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